 |  | Das Königliche Museum der Schönen Künste in Antwerpen bereitet sich auf seine Wiedereröffnung vor | |
Die äußere Hülle von Bauten lässt nicht immer auf das Innere schließen. Bei der näheren Beachtung eines Gebäudes erfährt man häufig neben dem Vermuteten auch Enttäuschendes, Überraschendes und Unerwartetes. Bei dem freistehenden, von den Architekten Jean-Jacques Winders und Frans Van Dijk im Sinne des Neoklassizismus entworfenen Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen mag es nun vielen ähnlich ergehen. Denn nach der Schließung im Jahr 2011 erfolgten auf der Grundlage eines Masterplans die Restaurierung aller historischen Säle und die Erweiterung durch einen von außen nicht sichtbaren Neubauteil in den ehemaligen Innenhöfen. Mit dem Neustart am vergangenen Wochenende ist er nun die eigentliche Überraschung für die Besucher*innen.
Nach sechs Jahren Bauzeit am 11. August 1890 eröffnet, zogen sich die von 22 Bildhauern bewerkstelligte Ausschmückung der Fassaden mit allegorischen Statuen, Medaillons und Büsten allerdings bis ins Jahr 1905 hin. Das stets unberührt gebliebene Äußere des wuchtigen Antwerpener Kunsttempels glänzt nunmehr nach grundlegender Reinigung wie aus dem Ei gepellt. Seitlich ergänzt ein neu angelegter Museumsgarten mit Skulpturen aus dem Fundus den monumentalen Bau. Das Innere des Königlichen Museums der Schönen Künste dagegen erfuhr immer wieder entscheidende Veränderungen, mit denen man in den Schauräumen aktuellen Ideen zur Präsentation der Objekte, pädagogischen oder technischen Ansprüchen Rechnung tragen wollte.
Angewachsen auf mehrere tausend Kunstwerke hat sich der Eigenbestand zu einer der wertvollsten musealen Kollektionen weltweit entwickelt, der eine Spanne vom frühen 14. Jahrhundert bis in die Jetztzeit umfasst. Der Schwerpunkt liegt auf der Kunst aus Belgien und den südlichen Niederlanden, darunter Meisterwerke von den Flämischen Primitiven und barocken Malern Antwerpens, allen voran Peter Paul Rubens. Aber auch die umfangreichsten Bestände von James Ensor sowie des Malers und Bildhauers Rik Wouters finden sich hier. Daher stellte sich zunehmend die Frage nach einer angemessenen neuen Sammlungspräsentation und Erweiterung einer Institution, die in der Weltliga der Museen mitspielt. Zu offensichtlich waren der desolate abgenutzte Zustand der Räume und die mangelhaften technischen Anforderungen. Zudem musste Platz für die aktuell rund 600 präsentierten Kunstwerke und die Funktionsräume geschaffen werden, für die die vier versteckten Innenhöfe adaptiert wurden.
Die Besucher*innen zieht es jedoch zunächst über die zweiarmige Prachttreppe ins alte hochwassergeschützte Hauptgeschoss unwiderstehlich empor. Gekrönt wird der imperiale Aufstieg von Nicaise de Keysers die Antwerpener Kunstschule lobpreisendem Gemäldezyklus. Vom obersten Podest sind es nur ein paar Schritte in das Herz des Hauses, den mittigen Rubens-Saal. Allein 27 zumeist großformatige Altargemälde des Barockmeisters verwaltet das Haus, die im Zuge der französischen Revolution 1794 aus Antwerpener Kirchen entwendet und 1815 wieder in das Akademie-Museum der Stadt, den Vorläufer des heutigen Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen, kurz KMSKA, zurückgebracht werden konnten. Es versteht sich von selbst, dass dem Kronjuwel und Symbol Antwerpener Selbstbewusstseins der größte Saal vorbehalten bleibt. Zentral platziert, gilt „Die Anbetung der Heiligen Drei Könige“, eigenhändig für den Hochaltar der Abteikirche St. Michael geschaffen, als eines seiner Meisterwerke. Die durchdachte Komposition, bewegte Bildsprache, warme Farben, Kontraste und lebendige Lichteffekte entsprachen dem Eifer der Gegenreformation.
Alle 23 Säle inklusive der vor Kopf angeordneten Galerie wurden im Zuge der Sanierung in den ursprünglichen Zustand versetzt. Man schreitet über knarrende Parkettböden unter Spiegelgewölben mit Glasfenstern entlang antikroter oder olivgrüner Farbgestaltung der Wände. Lediglich die modernistischen Heizungsverkleidungen mit integrierten Bänken erscheinen bei der Rückversetzung in den Ursprungszustand als Fremdkörper. Neu ist die thematische Gliederung der Gemälde und Skulpturen unter dialogischer Einbeziehung von Werken moderner und zeitgenössischer Künstler*innen. Dafür wurde die chronologische Hängung der Werke aufgegeben. Schon im Rubens-Saal sticht mittig ein violettes Plüschkanapee in der Form eines Dromedars ins Auge, das der Regisseur, Künstler Christophe Coppens in Anlehnung an Rubens’ Dreikönigsgemälde gestaltet hat.
Unter dem Schlagwort „Ohnmacht“ und „Macht“ sollen die Arbeiten in den beiden Folgesälen die künstlerische Visualisierung von Herrschaft andeuten. Der cäsarischen Marmorbüste des bayrischen Kurfürsten Maximilian II. Emanuel, geschaffen von Willem Kerricx im Jahr 1694, hängt Jean-Michel Basquiats Gemälde „Kings of Egypt II“ gegenüber. Neben Hans Memlings grandiosem dreiteiligem Bilderzyklus von Gott mit den singenden und musizierenden Engeln von 1483/94 wurden mittelalterliche Lauten oder Harfen angeordnet. Unter der Überschrift „Lijden“ erheben sich der aufgepfählte Schmerzensmann von Berlinde de Bruyckere oder der Kalvarienberg von Antonello da Messina. Ohne Zweifel gehört die weltberühmte „Madonna mit Seraphim und Cherubim“ von Jean Fouquet aus den Jahren um 1450 zu den Highlights. Mit Jan van Eycks „Jungfrau an der Quelle“ von 1439 korrespondieren im Madonnen-Saal aktuelle Bilder des Themenkreises, etwa von Marlene Dumas oder Luc Tuymans’ bestechend durchdringender „Diagnostischer Blick IV“ aus dem Jahr 1992.
Zurück im Haupttreppenhaus führt die untere Mitteltür zwischen den Läufen der Treppenanlage in eine andere, von der alten Galerie getrennte Welt. Durch eher unscheinbare Türflügel gelangt man in den äußerlich unsichtbaren Neubau, den die jungen Rotterdamer Architekten des Büros KAAN in die vier ehemaligen Innenhöfe implementiert haben. Die autonome, aus asymmetrischen „White Cubes“ bestehende und vertikal ausgerichtete Einheit erweitert die Schauflächen des Hauses um 40 Prozent. Hier wurde die moderne und zeitgenössische Kunst auf einer unteren und oberen Ebene untergebracht. Allen voran gilt dies für James Ensor, dessen berühmtes Maskenbild „Die Intrige“ von 1890 in den ihm zugeteilten Sälen im Erdgeschoss nicht fehlt. Etwas verwirrend muten die verwinkelten Gänge und Treppen an.
Über die „Himmelstreppe“ gelangt man in abgehängte dunkle Zwischengeschosse mit Grafiken und Kleinplastiken, die unterbrochen von mittigen Lichtschächten Einblicke in die anderen neuen Räume gestatten. Hier entfaltet sich ein breites Spektrum der jüngeren Kunstgeschichte, etwa mit Werken von Constant Permeke, Henry van de Velde, Rik Wouters, René Magritte, aber auch nicht belgischen Größen wie Amedeo Modigliani bis hin zu Anselm Kiefer. In Abkehr vielfach üblicher Glasüberdachungen von Innenhöfen und Erweiterungsbauten, die über unterirdische Gänge erschlossen sind, steht nun eine eigenständige und originelle Erweiterungslösung zur Bewährung an. Man wird sehen, ob sie stolze Summe von 100 Millionen Euro gut angelegt ist.
Das Koninklijk Museum voor Schone Kunsten Antwerpen hat täglich außer montags von 10 bis 17 Uhr, donnerstags bis 20 Uhr, samstags und sonntags bis 18 Uhr geöffnet. Am ersten Weihnachtstag und Neujahr bleibt das Museum geschlossen. Der Eintrittspreis beträgt 20 Euro, ermäßigt 10 Euro, für Personen unter 18 Jahre ist der Eintritt frei. |