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Otl Aicher unterstützte mit seinen Designideen eine fortschrittliche Wahrnehmung der BRD nach dem Zweiten Weltkrieg. Ausstellungen und eine Publikation würdigen zu seinem hundertsten Geburtstag seine Leistungen

Der Schöpfer von Deutschlands neuem Gesicht



Otl Aicher in seinem Atelier, 1953

Otl Aicher in seinem Atelier, 1953

Im Sommer 1972 blickte die Welt auf München. Die „heiteren“ Olympischen Spiele sollten ein unverkrampftes sympathisches Bild der Bundesrepublik Deutschland vermittelten: Fröhlich, friedlich, unbefangen, offen, demokratisch und tolerant, so wie es sich die Organisatoren vorgenommen hatten. Einen wesentlichen Anteil daran hatte der Gestalter Otl Aicher. Mit seinen Plakaten und Piktogrammen schrieb er Designgeschichte. Heute sind sie beliebte Sammelobjekte. Dynamisch-unpolitisch, unpathetisch und leicht erfassbar kontrastierten sie bewusst in ihrer emotionslosen Unaufgeregtheit die Wettkämpfe von 1936 in Berlin.


Dies spiegelt sich besonders in der Farbwahl. Otl Aicher wählte ein lichtes Blau und Grün, ergänzt von dunklen Abstufungen sowie Weiß, Silber und Orange. Natürlich spielte der lokale Impetus der strahlenden, licht- und blumengeprägten Voralpenlandschaft mit hinein. Rot und Schwarz, Gold und Purpur wurden als Symbole der Macht negiert. Der Farbkanon erweiterte sich etwa bei den Hängeflaggen im Olympiastadion bis hin zum Regenbogenmotiv. Passend zu den förmlich-unaufdringlichen Darstellungen der Sportler fügte der Schweizer Grafikers Adrian Frutiger die jugendlich-frische Typografie in die kongeniale Einheit aus Farbe, Schrift und Symbol ein.

Weder Sieg noch Niederlage, weder Geschlecht noch Herkunft klingen auch bei den Sportlern an, die Aicher in seiner Eigenschaft als 1966 bestellter offizieller Gestaltungsbeauftragter der Olympischen Spiele in die eigens entwickelten Piktogramme abstrahiert integrierte. Auf der Grundlage eines exakt festgelegten Rasters und genau definierter Gestaltungsregeln schuf er mit seinem Team prägnante und verständliche Zeichen. Vom Programmheft bis zum Briefbogen bestimmte das gesamte Layout mit seinen normierten, austauschbaren Bausteinen als einheitliches, aber nie stereotypes Erscheinungsbild das Großereignis und unterstützte die begeisterte Atmosphäre.

Widerstand von Aicher bis heute

Neben einer Ausstellung der „Olympia“-Plakate im Münchner Zentralinstitut für Kunstgeschichte und einer Präsentation im Lippischen Landesmuseum Detmold nahm eine umfassendere, wenn auch konzentrierte Schau im Archiv der Hochschule für Gestaltung (HfG) in Aichers Heimatstadt Ulm dessen gesamtes Œuvre in den Blick. Über 100 Plakate als Hauptsparte seines Schaffens illustrierten das Werk des am 13. Mai 1922 in Ulm-Söflingen geborenen Designers. Aktuell zeigt das Museum Ulm noch die Schau „Protest! gestalten“, die ausgehend von Otl Aicher die visuelle Aufmachung von Widerstand anhand der Arbeiten von über zwanzig internationalen Künstler*innen und Grafiker*innen bis heute fortschreibt. Mit dabei sind Gemälde, Zeichnungen, Bildmontagen, Plakat- und Flugblattkampagnen, Leuchtreklamen oder Videos unter anderem von Noma Bar, AA Bronson, Jeremy Deller, Parastou Forouhar, den Guerrilla Girls, Jenny Holzer, Mitsuo Katsui, Tine Melzer, Pierre Mendell, Klaus Staeck, Oliviero Toscani oder Jan Wilker.

Aicher war auf allen Gebieten Autodidakt. Einen schulischen oder akademischen Abschluss erwarb er nie. Rasch fand der Linkskatholik, HJ-Verweigerer und Deserteur in den Geschwistern Scholl und ihrem Umfeld der „Weißen Rose“ ein seinem Gedankengut entsprechendes Milieu. Als jemand, dem eine Abneigung gegenüber Staatsgewalten als Inbegriff autoritärer Fremdbestimmung zu eigen war, lehnte er Eingriffe in die Freiheit des anderen ab. Bereits nach einem Jahr beendete er sein 1946 an der Akademie der Bildenden Künste München begonnenes Studium der Bildhauerei, um ein Gestaltungsbüro zu eröffnen. Als Zeit-, Kultur- und Sozialkritiker durchdrangen ihn bei seinen Aufträgen diverse Ideen. Geprägt von den Schriften des katholischen Publizisten Carl Muth, des Philosophen Theodor Haecker sowie besonders von den Anschauungen Ludwig Wittgensteins, sah er deren geistige Wurzeln als Voraussetzung allen Entwerfens und Formens an.

Zusammen mit seiner späteren Frau Inge Scholl, einer Schwester von Hans und Sophie Scholl, gründete er 1946 die Ulmer Volkshochschule. Für deren Vortragsreihen entwarf er allein 328 Plakate in kräftigem, zeitgemäß erdfarben abgetöntem Kolorit mit reduzierter, aber gut lesbarer Typografie. Die schmalen, vierzig Zentimeter breiten und bis zu 80 Zentimeter hohen Plakate warben an 40 von ihm entwickelten, knapp drei Meter hohen Stelen im zerbombten Ulm prägnant für die Veranstaltungen. Aufbewahrt im Nachlass Aichers im Ulmer HfG-Archiv, verdeutlichen sie die Verschmelzung von philosophischen, politischen und ökologischen Aspekten. Aufrufe zu Ostermärschen, Agitationen gegen die Wiederbewaffnung und atomare Aufrüstung, politische Plakate für die SPD oder gegen die Nachrüstung, Werbung für die Europawahlen 1979 bis hin zu touristischer Reklame, etwa für Bad Gastein oder Isny, finden sich darunter. Besonders originell verkörpert die 1983 kreierte, grün gestreifte Landschaft mit kirchturmartigen Raketen zwischen den Hügelwellen die Vorgehensweise des streitbaren und streitenden Illustrators zwischen Verbissenheit und Freiheit, Perfektionismus und Anarchie. Dabei betrachtete Aicher grundsätzlich das Produkt als eine moralische, auf Werten beruhende Praxis. Design, abgeleitet vom lateinischen „designare“, bedeutete für ihn Bestimmen und damit die gegen einen Stil gerichtete, zweckdienliche wie begründbare Lösung.

Kompromisslos

Weit über die Ausstellungen hinaus widmet sich der Begleitband des Prestel Verlags weniger bekannten Facetten wie dem Fotografen, Architekten, Ausstellungsgestalter, Schriftenendwerfer oder Buchgestalter Aicher sowie dessen Engagement in der von ihm zusammen mit Max Bill gegründeten HfG Ulm. Dem Bauhäusler Bill schwebte eine Hochschule für Gestaltung in teilweiser Anlehnung an das Bauhaus vor. Er schuf auch den Betonkomplex des 1955 offiziell von Walter Gropius eröffneten Instituts auf dem Ulmer Kuhberg, der heute zu den besten Bauleistungen jener Jahre zählt. Doch Aicher opponierte rasch gegen die vom Bauhaus übernommene Beziehung von Design und Kunst. Eine Verbindung von Entwerfen und Wissenschaft unter Berücksichtigung gesellschaftlicher und ökologisch nachhaltiger Aspekte prägte dagegen sein Designverständnis. Eine Ordnung, technisch anspruchsvolle, farblich und formal ansprechende Produkte abseits von Schönheit oder Dekor und ihre Gebrauchsfähigkeit waren ihm wichtig. Design verstand er als moralische, auf Werten beruhende Praxis. Den Gestalter klassifizierte er weder als Künstler noch als Handwerker, sondern als ebenbürtig Schaffenden.

Im Rahmen der Durchsetzung dieser Vorstellungen verließ Max Bill 1956 die Ulmer Hochschule. Fortan gehörte Aicher, der Typografie und visuelle Kommunikation lehrte, als Mitglied des Rektorats und zeitweise als Rektor bis zur Schulauflösung am 1. Dezember 1968 der Hochschulleitung an. Sein privates Büro brachte er in die 1957 gegründete Entwicklungsgruppe „E5“ ein, die hier im Team Aufträge ausarbeitete. Dazu gehörte ab 1962 das Redesign des 1919 von Otto Firle geschaffenen Kranich-Logos der Deutschen Lufthansa. Er setzte den dynamisierten Vogel in einen Richtung Orange verschobenen gelben Kreis, um den Signalcharakter zu verstärken und Frische, Sicherheit und Technik und damit das Fliegen zu assoziieren. Über 50 Jahre prägte das Label unverändert die Fluggesellschaft.

Schon 1954 begann Aichers Tätigkeit für die Firma Braun, dessen progressive minimalistische Produkte konform in die neuen Bungalows und Flachdachhäuser passten. Das von Aicher entwickelte Schriftbild des als „Schneewittchensarg“ bekannten, von Hans Gugelot und Dieter Rams entworfenen Kompaktgerätes „Braun SK 4“ gehörte zu seinen ersten Leistungen. Geradezu sensationell war das für die Düsseldorfer Rundfunkmesse 1955 entworfene Ausstellungssystem der Firma Braun aus einer Anordnung von simplen Stützen und Platten.

Nach der Schließung der HfG erhielt Otl Aicher als gefragter und führender deutscher Designer Aufträge weiterer zahlreicher Unternehmen wie der Dresdener Bank, des Frankfurter Flughafens, des ZDF, der WestLB, des Leuchtenproduzenten ERCO oder der Universität Konstanz, deren neues Logo er arrangierte. Im Jahr 1972 verzog er nach Rotis bei Leutkirch ins Allgäu, wo er sich um eine alte Wassermühle ein individuelles Refugium aus Schedbauten schuf. Die Zusammenarbeit mit dem britischen Architekten Norman Foster und die Entwicklung der Schrift „Rotis“ nahmen hier ihren Lauf, bevor er hier am 1. September 1991 an den schweren Kopfverletzungen infolge eines Autounfalls starb. Bedauerlicherweise ist die Designentwicklung nach Aichers Ableben nicht wirklich vorangekommen. Gestaltung dient heute vornehmlich der Effekthascherei, ist schmückend und attraktivitätsorientiert ohne konkrete Nutzbarkeit im digitalen Zeitalter.

Die Ausstellung „Protest! gestalten – Von Otl Aicher bis heute“ läuft bis zum 16. April. Das Museum Ulm hat dienstags bis sonntags von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Geschlossen bliebt an Fachingsdienstag und Karfreitag. Der Eintritt beträgt 8 Euro, ermäßigt 6 Euro. An jedem ersten Freitag im Monat sowie für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 18 Jahren ist er frei. Der im Prestel Verlag erschienene Katalog „Otl Aicher. Designer, Typograf, Denker“, herausgegeben von Winfried Nerdinger und Wilhelm Vossenkuhl, kostet 49 Euro.

Kontakt:

Museum Ulm

Marktplatz 9

DE-89073 Ulm

Telefax:+49 (0731) 16 11 626

Telefon:+49 (0731) 16 14 300

www.otlaicher.de



02.02.2023

Quelle/Autor:Kunstmarkt.com/Hans-Peter Schwanke

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12.11.2022, Protest! gestalten: Von Otl Aicher bis heute

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Ausstellung „Protest! gestalten – Von Otl Aicher bis heute“

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Otl Aicher und Mitarbeiter, Olympische Spiele 1972 München, 1970/71

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Otl Aicher, Plakat Volksversammlung, 22.03.1983

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