Wärme, Liebe, Erotik – das signalisiert keine Farbe so treffend wie Rot. Folglich dominiert Rot Orte in Vergnügungsstätten, die Lucinda Devlin in ihren Fotografien verewigt hat. Der rauen Welt entrückte, frivol ausgestattete Refugien in Themenhotels, Diskotheken oder Bars bieten die Möglichkeit, lang gehegte Träume wahr werden zu lassen. Dazu gehört der herzförmige Whirlpool eines Amüsierhotels, in dem die Künstlerin ihre Kamera positioniert hat. Per Selbstauslöser belichtet, erblickt man die Situation aus der Perspektive des Deckenspiegels darüber. Unverzerrt gerät die von Spiegeln und Lichtern umrahmte Herzform ins Zentrum, wobei der quadratische Ausschnitt den runden Raum und das Changieren zwischen Nähe und Tiefe betont.
Beim Anblick dieser Arbeit geraten die Besucher*innen in den ohnehin konservatorisch bedingt heruntergekühlten Sälen der SK Stiftung Kultur nun noch stärker ins Frösteln. Gefühlslos kalt entrückt Devlin die menschenleeren Sujets dem üblicherweise damit verbundenen Geschehen. Die Aufnahmen aus der zwischen 1977 und 1990 erarbeiteten Serie „Pleasure Ground“ vermitteln nicht ansatzweise eine Wohlfühlatmosphäre. Sie steht am Anfang von Devlins künstlerischem Schaffen und auch der aktuellen, 100 Exponate umfassenden Schau in der Photographischen Sammlung der Kölner SK Stiftung Kultur. Ihr Titel „Frames of Reference“ spielt auf Devlins Intention an, die zeitgenössische amerikanische Kultur, deren Vielzahl an Sitten, Werten und Überzeugungen zu erkunden.
Die Kuratorinnen Gabriele Conrath-Scholl und Claudia Schubert haben zusammen mit der Künstlerin neun thematische Folgen ausgewählt, unter denen „The Omega Suites“ am berühmtesten sind. In über 20 amerikanischen Haftanstalten durfte die Fotografin ab 1991 Todeszellen mit elektrischen Stühlen, Gaskammern oder Liegen zur Injektion von Todesspritzen aufnehmen. Nach 1998 wurde ihr kein Zutritt mehr gestattet. Umfangreiche Korrespondenz in Vitrinen belegen die seinerzeit aufwendigen Recherchen und Genehmigungen. Die Präsentation dieser Sequenz auf der von Harald Szeemann kuratierten venezianischen Biennale im Jahr 2001 brachte Devlin den internationalen Durchbruch. In einer wohl abgewogenen, direkten Bildsprache, in realitätsgetreuem Kolorit, präzis ausgerichteter Perspektiv- und Linienführung bildete sie neben Hinrichtungszellen auch Beobachterräume für Zeugen oder Scharfrichter ab. Dafür, dass den Fotografien kein Lehrbuchcharakter anhaftet, sorgen Abnutzungs- oder Gebrauchsspuren sowie kleine Abnormitäten.
Die Arbeiten sind nie idealisiert oder modellhaft gemeint, was den belastenden, Angst erregenden Ausdruck dieser Zeitdokumente noch verstärkt. Nüchtern und ohne Kommentar sollen sie zur Diskussion animieren. Auffallend ist die große Ähnlichkeit zur Serie „Corporal Arenas“, in der zur Heilung dienende Räume im Mittelpunkt stehen. Hier geht es Lucinda Devlin um die Frage körperlichen Wohlbefindens, aber auch um die Unklarheiten bei der Kontrolle über den eigenen Leib und Ausgeliefertsein an Fremde. Unter den von starken Hell-Dunkel-Kontrasten beherrschten und mit teils skurrilen Gerätschaften ausgestatteten Prüf- und Behandlungsräumen sticht speziell ein Operationssaal im Forrest General Hospital in Hattiesburg hervor. Über der mittig platzierten, von Tüchern bedeckten Operationsliege strahlt eine OP-Lampe wie ein Komet am schwarzen Nachthimmel gleißendes Kunstlicht punktförmig in den Raum. Glatte, klinisch-sterile Reinheit beherrscht auch hier den kaltnüchtern, dokumentarischen Blick Devlins, mit dem sie die absonderlichen Methoden menschlicher Eingriffe in den Blick nimmt.
Thematisch eng verbunden mit dieser Serie ist die im Rahmen eines DAAD-Stipendiums zwischen 1999 bis 2002 vorwiegend in Deutschland erstellte Werkreihe „Water Rites“. Erneut steht der Sachverhalt körperlichen wie seelischen Wohlergehens von Menschen samt der Mühsale bei der Abwicklung therapeutischer Maßnahmen im Fokus. Dazu besichtigte Lucinda Devlin traditionsreiche deutsche Kur- und Bädereinrichtungen. Neben leblos-frostig erscheinenden, steril gekachelten Räumen in Heilungszentren der Nachkriegsjahre nahm sie gusseiserne Apparaturen oder Liegesäle historischer Therapiebäder etwa im Baden-Badener Friedrichsbad ins Visier, letztere technoid wie bruchstückhaft unter Ausblendung der grandiosen gründerzeitlichen Pracht. Würde Devlin diese einbeziehen, würde der historistische Bau nur ablenken und die optische Ordnung konterkarieren. Durch die Positionierung der Kamera auf Augenhöhe und die Einhaltung der Zentralperspektive evoziert die Künstlerin einen markenähnlichen Duktus. Dieser erlaubt einen ungestörten visuellen Zugang.
Besonders diese Serie dokumentiert die Affinität der 1947 geborenen und in Greensboro in North Carolina lebenden Fotografin zu Deutschland. Stark identifiziert sich die Vertreterin der New Color Photography mit der parallel zur „Becher-Schule“ entwickelten fotografischen Methodik einer sachlichen, konzeptionellen Herangehensweise als künstlerische Ausdrucksform mit dem Ergebnis einer klaren Bildsprache. Ausschließlich quadratische Formate, authentische Raumerforschungen und der Einsatz gezielter Perspektiven unterstützen die normative Ausdrucksstärke.
Weitere Serien fächern die Thematik des Genesens auf: In „Subterranea“ befasst sich Lucinda Devlin mit amerikanischen und europäischen Höhlen. In bestechender changierender Farbigkeit unter künstlicher Beleuchtung nimmt sie Bezug auf die Vielschichtigkeit und Ambivalenz des mit langer ikonografischer Tradition behafteten Sujets. In „Habitats“ versammeln sich zoologische Gehege und Aquarien, die das Schaubedürfnis des Menschen und sein Begehren nach Beherrschung der Natur offenlegen. In den letzten Jahren wandte sich Devlin von den Innenaufnahmen ab und der Natur zu. In „Field Culture“ wirft sie einen kritischen Blick auf die hoch technisierte Landwirtschaft in den USA. An der Stelle unberührter Natur tritt der großflächige Anbau in der Gestalt maximaler Gewinne erzielender Monokulturen.
Von 2010 bis 2019 arbeitete Lucinda Devlin an formal strengen Landschaftsstudien am Lake Huron. Zentrales Element der Serie mit einer hohen malerischen Qualität ist der in der Bildmitte angesetzte Horizont. Kompositorisch vergleichbar sind die Aufnahmen am Great Salt Lake. Die salzhaltige Luft in Verbindung mit dem Wasser erzeugt Lichtbrechungen und täuschende Reflexionen. Zusammen mit den kristallin-krustigen Salzfeldern mutieren sie zum alleinigen Bildakteur einer All Over-Gestaltung. Devlins sachlich nüchterne Dokumentationen gehen hier weit über eine bloße Anregung zum Nachdenken hinaus. In ihrer Eindringlichkeit formuliert Devlin fast hilflos anmutende Mahnungen zur Bewahrung der Natur, verbunden mit einem Gefühl einer bald vergangenen Schönheit.
Die Ausstellung „Lucinda Devlin – Frames of Reference“ ist bis zum 16. Juli zu sehen. Die Photographische Sammlung der SK Stiftung Kultur hat täglich außer mittwochs von 14 bis 19 Uhr geöffnet. Der Eintritt beträgt 6,50 Euro, ermäßigt 4 Euro. Zur Ausstellung wird ein umfangreiches Begleitbuch im Steidl Verlag erscheinen. |